Out of Syria, Inside Facebook

Kapitel
Akteure und Perspektiven

Als im März 2011 der Bürgerkrieg in Syrien begann, studierte Dona Abboud Typografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Das soziale Netzwerk Facebook wurde zu ihrer wichtigsten Verbindung mit ihrer Familie, ihren Freunden und ihrem Heimatland. In den Timelines trafen persönliche und offizielle Nachrichten, Freude und Verzweiflung, das gewöhnliche Leben und der Ausnahmezustand des Krieges aufeinander. Für ihr Buch Out of Syria, Inside Facebook sammelte Abboud die bei Facebook geteilten Bilder von elf Syrern mit sehr unterschiedlichen Biografien, Schicksalen und Überzeugungen. Durch die Einblicke in verschiedene Filterblasen zeigen sich heterogene Perspektiven, widersprüchliche Wahrheiten und die Vielschichtigkeit der Lebensrealität vor Ort.

War Photography is Personal. Konflikt als geteilte Erfahrung in Zeiten sozialer Medien und Smartphones

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Akteure und Perspektiven

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Kritik an den Funktions- und Wirkungsweisen der professionellen journalistischen Berichterstattung und einer sich verändernden Beziehung zu Bildern durch die Allgegenwart von Handykameras und die globale Vernetzung über soziale Medien geht dieser Beitrag der Frage nach, inwiefern sich der aktuelle Fotojournalismus mit den neuen sozialen Gebrauchsweisen des fotografischen Mediums auseinandersetzen muss, um auch zukünftig relevant und wirksam bleiben zu können. Dabei wird die These aufgestellt, dass das Prinzip der geteilten Erfahrung, der Fokus auf Subjektivität und der Dialog- und Netzwerkgedanke, welche die sozialen Medien auszeichnen, vielversprechende Anregungen für eine Erweiterung des Spektrums fotojournalistischen Erzählens bieten.

Ausgehend von einer Analyse des spezifischen Authentizitätsversprechens privater Handyfotografien in Geert van Kesterens Buch Baghdad Calling wird anhand Dona Abbouds Arbeit Out of Syria, Inside Facebook auf die Vorteile und Problematiken der Personalisierung in sozialen Netzwerken eingegangen. Die dort sichtbar werdende Notwendigkeit der Verifizierung und Interpretation von Amateurmaterial zeigt sich auch in den gegenwärtigen Praktiken, die bei der Einbeziehung von Handyfotos in den Nachrichtenkontext zum Einsatz kommen, und verdeutlicht die Relevanz erfahrener (Bild-)Autor*innen, die komplexe Realitäten aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und die Vermittlung individueller Botschaften in den Fokus rücken.

Realitätenkollaps? Zum Status von Bild und Betrachter bei Gewaltvideos

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Akteure und Perspektiven

Gewaltbilder von Aufmerksamkeitsverbrechen tilgen und erfordern Abstand. Vor allem in potenziell echtzeitschnell global vernetzten digitalen Öffentlichkeiten, in denen jede Person, die postet und kommentiert, Sender und Empfänger zugleich ist, gewinnen Fragen nach den medialen und ästhetischen Entstehungsbedingungen von Distanzauflösung und Wirklichkeitstransformation eine Dringlichkeit, die Alltag und Wissenschaft eng verknüpft. Sobald Fotos und Videos im Hybridraum sozialer Netzwerke und massenmedialer Berichterstattung eingesetzt werden, erscheinen sie oft als sachgerecht und erhalten kurzschlüssig einen hohen Wahrheitswert. Doch auch abbildhafte Gewaltbilder von indexikalischer Qualität können nie „die Sache selbst“ sein. Sie hinterlassen Wissenslücken und generieren eine Informationssehnsucht, die den „Appetit des Auges“ sowie den „Hunger nach ‚Deutung‘“ anregt. Zudem drohen Betrachterrealität und Ereignisrealität kurzzeitig ineinander zu kollabieren. Folglich werden die Bilder befragt, mit welchen Mitteln welche Wirklichkeiten in ihnen, durch sie und mit ihnen erzeugt werden. Eine Offenlegung des Wirkungspotenzials öffentlich eingesetzter Gewaltbilder verlangt es, die künstlichen Entstehungsbedingungen der Bildwirkung aufzufächern, um diese zu distanzbringenden Rezeptionsanlagen zu transformieren. Die Reflexion der Bildwirkung bleibt unumgänglich für die Diskussion sowohl der medialen Praxis als auch des Publikumsinteresses an Gewaltbildern.

Akteur statt Bild. Ein Blick hinter die Linse des internationalen Fotojournalismus in Israel / Palästina

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Akteure und Perspektiven

Israel / Palästina ist einer der wichtigsten Produktionsstandorte für den internationalen Fotojournalismus. Während die in der Region produzierten Bilder häufig Gegenstand kritischer Diskussionen sind, wird jedoch nur selten auf die Akteur*innen und Strukturen des Fotojournalismus in der Region geschaut. Dabei helfen die dort zu beobachtenden Phänomene auch dabei, die publizierten Bildwelten besser zu verstehen. Darüber hinaus lassen sie Rückschlüsse auf den Fotojournalismus im Allgemeinen und die Konfliktfotografie im Besonderen zu. Im Aufsatz werden einige zentrale Ergebnisse einer Studie über den internationalen Fotojournalismus vorgestellt, mit der das fotojournalistische Handeln internationaler, israelischer und palästinensischer Fotoreporter*innen am Produktionsstandort Israel / Palästina untersucht wurde. Im Aufsatz geht es vor allem darum, Unterschiede in den Praktiken und Routinen verschiedener fotojournalistischer Berufsgruppen zu identifizieren sowie journalismusimmanente und konfliktbezogene Einflussfaktoren auf das fotojournalistische Handeln herauszuarbeiten. Der Aufsatz folgt der These, dass es nur die Abkehr von der Beschäftigung mit dem publizierten Bild und die Auseinandersetzung mit Herstellungsbedingungen und -praktiken ermöglichen, die komplexe Struktur sowie das Akteursgefüge des zeitgenössischen Fotojournalismus zu verstehen. Am Ende wird folgerichtig für die Entwicklung einer angewandten Fotojournalismusforschung plädiert.

Das erste Opfer ist die Wahrheit. Konfliktfotografie als Indikator für ein aufkommendes Verständnis von digitalen Bildern als neuem Medium

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Nichts als die Wahrheit

Digitale Fotografie mutet auf den ersten Blick an wie die Fotografie, die wir seit 180 Jahren kennen, und wir nähern uns ihr mit den gleichen Erwartungen. Doch das indexikalische Medium Fotografie ist weitgehend durch computergenerierte Prozesse ersetzt worden, welche all unsere Auffassung vom Bild als Beweisstück infrage stellen. Ausgehend vom historischen Beispiel der Aufnahmen von Kriegen des 19. Jahrhunderts, die Roger Fenton und Alexander Gardner während eines ähnlichen Umbruchs (des Übergangs von der Zeichnung zur Fotografie) machten, wird argumentiert, dass die Verwendung von Termini eines vergangenen Zeitalters zur Beschreibung eines neuen gewisse Gefahren birgt. Daraus resultierende Missverständnisse drohen die Botschaft zu verzerren, manchmal so weit, dass dargestellte Tatsachen negiert werden. Gleichzeitig verbergen sie die sich entwickelnden Qualitäten und nutzbringenden Möglichkeiten, welche das neue Medium bietet.

1 „Das erste Opfer ist die Wahrheit“: Verschiedene Versionen dieser Wendung sind seit Jahren geläufig, um zu beschreiben, wie Informationen in Konflikten verzerrt werden: Was wir meinen zu sehen, ist möglicherweise nicht das, was wirklich passiert ist. Als erster scheint Samuel Johnson den Satz verwendet zu haben: „Gemeinsam mit allem Elend der Kriege ist auch die schwindende Wahrheitsliebe zu nennen, bedingt durch Lügen, welche das Interesse diktiert und die Leichtgläubigkeit fördert“ (Samuel Johnson: The Idler, 1758; übersetzt aus dem Englischen). Als erster Kommentator im 20. Jahrhundert zitierte den Ausspruch wahrscheinlich der republikanische Senator von Kalifornien Hiram Johnson (1866–1945), und zwar mit den Worten: „Das erste Opfer, wenn der Krieg ausbricht, ist die Wahrheit“.

 

Nein, es waren nicht die Amerikaner. Die ganze Wahrheit über ein Foto, das jeder kennt

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Nichts als die Wahrheit

Im Juni 1972 geht ein Foto um die Welt, das unser Bild vom Vietnamkrieg, ja von allen Kriegen verändert: das Napalm-Mädchen von Nick Ut. Seither steht dieses Pressefoto stellvertretend für die Gräuel, unter denen besonders die Zivilbevölkerung in den modernen Kriegen leidet. In den über 40 Jahren seit seiner Entstehung war das Bild Thema unzähliger Publikationen. Doch wie so oft bei ikonischen Bildern sind auch über das Napalm-Mädchen jede Menge historische Ungenauigkeiten und Fehlinformationen im Umlauf, die mit stoischer Ignoranz wiederholt werden und die Wirkungsgeschichte und Rezeption des Bildes nachhaltig beeinflussen.

Der Essay unternimmt den Versuch, die Ereignisse vom 8. Juni 1972 und die Rolle der Beteiligten möglichst umfassend und genau zu rekonstruieren, um eine Vielzahl der späteren Lesarten zu widerlegen. Dabei wird deutlich, dass sich das Napalm-Mädchen im Spannungsfeld von Wahrheitsansprüchen bewegt, die zwischen Wirkungsmacht, Authentizität, Objektivität und Propaganda liegen.

War Primer 2

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Nichts als die Wahrheit

In seiner (erstmals 1955 im Eulenspiegel Verlag) veröffentlichten Kriegsfibel kombinierte der deutsche Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht Pressefotografien aus dänischen und amerikanischen Tageszeitungen und Illustrierten mit kommentierenden Vierzeilern, die er Foto-Epigramme nannte. Die in den 1930er-Jahren im Exil in Dänemark begonnene Arbeit ist sowohl eine kritische Chronik der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs als auch eine didaktische Infragestellung der vermeintlichen Wahrhaftigkeit und Eindeutigkeit der Fotografie.

Mit ihrem Künstlerbuch War Primer 2 (erschienen 2011 in limitierter Auflage von 100 Exemplaren bei MACK; Neuauflage 2018) eignen sich Adam Broomberg und Oliver Chanarin Brechts Kriegsfibel an und übersetzen sie in die massenmedial geprägte Zeit des ,war on terror‘. Das Bildmaterial für ihre Intervention und Neuinterpretation finden sie im Internet und montieren es auf die 85 Tafeln der britischen Originalausgabe (War Primer, erschienen 1998 bei Libris). Durch ihre Aneignung wird sowohl Brechts ,Verfremdungseffekt‘ multipliziert als auch die Komplexität der zeitgenössischen Verwendung und Verbreitung von Konfliktbildern thematisiert.

Die Triangulatur von Wahrheiten: Fotojournalismus im vernetzten Zeitalter

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Nichts als die Wahrheit

Dieser Text argumentiert, dass Fotojournalist*innen als ein Netzwerk vertrauenswürdiger Zeug*innen angesehen werden können, die kollektiv Zeugnis ablegen und für eine Vielzahl verschiedener Situationen Beweise liefern. Die fotojournalistische und dokumentarfotografische Praxis dient demnach dazu, das moralische Gedächtnis einer Gesellschaft zu stärken, indem sie durch einfallsreiche, emotionale und evidenzbasierte Impulse Debatten, Diskussionen, Rückblicke, Verständnis oder auch Empathie anregt. Fotojournalist*innen legen globale Muster von Missbrauch offen und stellen, indem sie Zeugnis von sozialen Ungerechtigkeiten ablegen, allein oder als Kollektiv wesentliche Glieder in der Kette an Informationen über die Welt dar. Der Wert der Fotografie ist nicht isoliert zu betrachten, als ob sie, positiv wie negativ, in einem kontextuellen, von der Wirkweise und den Auswirkungen verwandter Medien und Kommunikationsformen losgelösten Vakuum aufträte. Sie ist vielmehr als Teil einer Evidenz-Ökologie anzusehen, innerhalb derer eine Vielzahl an Quellen miteinander in Bezug gesetzt werden können, um eine Situation nuancierter zu interpretieren.

mehr: http://image-matters-discourse.de/book/beitrag/

Wie die Gewalt aus der Kunst ,spricht‘: Über visuelle Codierung von Gewalt

Wenn nach der Darstellung von Gewalt im Bild gefragt wird, geht es meist um Zensur, um die Grenzen des Darstellbaren, um Medien und Politik. Angetrieben sind diese Debatten vom Glauben an die Macht der Bilder. Das wiederum endet häufig in Ontologisierungen: Gewalt und Bild erscheinen dann als vorsprachliche, unhintergehbare Wesenheiten. In meinem Beitrag geht es dagegen um die Frage, wo und wie im Bild Gewalt ,spricht‘, mitteilbar wird, mit welchen Codes der Darstellung. Der Beitrag spielt diese ,Kunst des Spurenlegens‘ in der Ökonomie visuell-künstlerischer Codierungen von Gewalt anhand von Beispielen aus der bildenden Kunst (Malerei und Fotografie) des 19. und 20. Jahrhunderts durch. Es geht dabei auch um eine Art Dekonstruktion des Glaubens an die Macht des Bildes, mithin um einen Versuch über Bildpolitiken, die angetrieben sind von dem Begehren, die Differenz zwischen Darstellbarkeit und Präsenz des Dargestellten aufzuheben.

Die Unsichtbarkeit des Rahmens oder die Lesbarkeit von Welt

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Sichtbar unsichtbar

Der Essay beschäftigt sich mit fotografischen Bildproduktionen und ihrem Verwoben-Sein in Prozesse von Ethik und Politik. Hierfür werden aktuelle journalistische Bildproduktionen hinterfragt, um zu zeigen, dass noch die scheinbar authentischsten Fotografien eingebunden sind in Bildpolitiken und Funktionsweisen von Macht. Für diese Mechanismen ist die Frage der Grenzziehung zwischen sichtbar und unsichtbar im Feld der Repräsentation ebenso zentral wie die strukturierende Funktion des ‚Rahmens‘. Der Essay stellt die Frage, inwiefern aktuelle Bildproduktionen am ‚Rahmen‘ und einer Verschiebung der Grenze zwischen Eingegrenztem und Ausgegrenztem, Sichtbarem und Unsichtbarem arbeiten können, um eine kritische Prüfung der Beschränkung, die über die Deutung der Wirklichkeit verhängt wurde, einzuleiten. Am Beispiel der Arbeiten von Bertolt Brecht, Adam Broomberg, Oliver Chanarin und Edmund Clark wird deutlich, dass ein Blick in die Grenzbereiche der Fotografie neue Perspektiven eröffnet, um das gesellschaftskritische Potenzial visueller Darstellungsformen zur Wirkung kommen zu lassen und zukünftige Formen ‚ungehorsamen Sehens‘ im Feld journalistischer und dokumentarischer Erzählformen zu entwickeln.

War Porn

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Sichtbar unsichtbar

„Nutze ich die Menschen in meinen Bildern aus? Ist es moralisch zu rechtfertigen, als Fotograf in Kriegsgebieten zu arbeiten? Warum sind wir von Bildern des Elends anderer angezogen? Produziere ich Kriegs-pornographie?“ Diese Fragen stellte sich der Fotograf Christoph Bangert, der über zehn Jahre für internationale Magazine in Krisenregionen wie Afghanistan, Irak, Indonesien, Libanon und Gaza unterwegs war. In seinem Buch War Porn versammelt er Aufnahmen, die gewöhnlich Prozessen der Zensur anheimfallen: der Selbstzensur des Fotografen, der sich bei manchen Bildern im Buch nicht daran erinnert, sie gemacht zu haben. Aber auch den journalistischen Auswahlprozessen der Redaktionen und publizierenden Medien sowie der Zensur der Betrachter, die sich entscheiden und überwinden müssen, diese Bilder anzuschauen.

hello camel

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Sichtbar unsichtbar

Lachen und Heiterkeit scheinen unangebracht und pietätlos im Angesicht von Konflikt, Gewalt und Chaos. Doch gerade im Ausnahmezustand des Krieges prallen die Extreme menschlicher Erfahrung, der Horror und die Absurditäten des Lebens, aufeinander.

Christoph Bangert, der über einen Zeitraum von zehn Jahren amerikanische, britische und deutsche Militäreinheiten bei Einsätzen im Irak und Afghanistan fotografisch begleitet hat, richtet seinen Blick auf die Banalitäten des Kriegsalltags, auf skurrile Szenen in den Militärstützpunkten und die provisorischen Konstruktionen und Improvisationen, die eine Form von Normalität bewahren sollen. Damit macht er sich nicht lustig oder verharmlost den Krieg, sondern verdeutlicht, dass sich die Realität in Konfliktsituationen meist widersprüchlicher und vielschichtiger darstellt als gewöhnlich angenommen. Inmitten des Krieges zeigt sich Humor als wichtiger Schutzmechanismus, um mit dem tagtäglichen Wahnsinn umzugehen.

Ziyah Gafić: „… if you’ve seen one, you’ve seen them all“

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Sichtbar unsichtbar

[Ziyah Gafić: „… hat man einen gesehen, hat man alle gesehen“1]

In ihrem klaren formalen Aufbau und ihrer ästhetischen Verdichtung generieren die Fotografien der Serie Quest for Identity von Ziyah Gafić Empathie der Betrachtenden nicht über eine Schockwirkung. Sie lassen die Gräuel vielmehr im Nichtgezeigten, in dem Dazwischen, in der Imagination der Betrachtenden entstehen. Eine grundsätzliche Frage von Kriegsfotografie wird hier berührt: Wie viel Leid darf oder gar muss sie zeigen, um agitieren zu können. Der Fotograf, geboren 1980 in Sarajevo, zeigt diese Aufnahmen auch in Ausstellungen und bewegt sich so zwischen Gebrauchsfotografie und dem Kontext Kunst. Ihr ästhetischer Gehalt vermindert gleichwohl nicht ihre Wirkungsmacht. In ihrer verdichteten und zurückgenommenen Darstellung kann sich der Appell dieser Fotografien, die sich nicht zuletzt der Prinzipien des Seriellen bedienen, auf verschiedensten Ebenen umso eindringlicher entfalten. Gafić hat auch in anderen Konflikt- und Kriegsgebieten wie Palästina, Kurdistan, Ruanda oder Afghanistan fotografiert. Er richtet seinen Blick dabei stets auf die Folgen dieser Konflikte. Seine Erkenntnis: Es geht immer um Besitz, alle Kriege gleichen sich. Hat man einen Krieg gesehen, hat man alle gesehen.

1          Vgl. Ziyah Gafić: ‚Ziyah Gafić‘, in: The Calvert Journal, https://www.calvertjournal.com/features/show/7103/ziyah-gafic (letzter Zugriff am 10. März 2018).

The Maze

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In den Jahren 2002 und 2003 fotografierte der nordirische Fotograf Donovan Wylie das nach der nahe gelegenen Ortschaft Maze benannte und im Jahr 2000 stillgelegte Hochsicherheitsgefängnis ‚Her Majesty’s Prison Maze‘ in der Nähe von Lisburn in Nordirland.
In einer konzeptionellen Spurensuche geht er der Struktur dieses Ortes auf den Grund, der mit seiner Geschichte von gewalttätigen Protesten, Hungerstreiks, Ausbrüchen und Todesfällen eine prägende Rolle während des Nordirlandkonflikts (1969 bis 1998) spielte. Systematisch nähert sich Wylie dem Gebäudekomplex von außen nach innen, dokumentiert akribisch die begrenzenden Mauern, Zäune und Sicherheitsstreifen, die Innenräume der charakteristischen H-Blocks, die Korridore und Zellen. In der seriellen Wiederholung seiner Aufnahmen zeigen sich die historischen Ablagerungen von Geschichte, die psychologische Funktion der geometrischen und für Desorientierung sorgenden Konstruktionen sowie die kontrollierende Architektur der Macht.

Vermachtete Räume in den fotografischen Serien Donovan Wylies

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Die fotografischen Arbeiten von Donovan Wylie thematisieren gewaltsame Konflikte anhand ihrer architektonischen Spuren. Dabei werden sie nicht als romantische Ruinen inszeniert, sondern vielmehr als rationale Strukturen der Kontrolle. Gefängnisse, Wachtürme oder Überwachungsstationen unterliegen jedoch strengster Geheimhaltung und bleiben daher einer Medienöffentlichkeit zumeist verborgen. So kommt Wylie einerseits einer der grundlegenden Aufgaben der Dokumentarfotografie nach, nämlich das Publikum mit einer heiklen, ihm fremden Realität zu konfrontieren. Andererseits reizt er dafür die ästhetischen Möglichkeiten der Landschaftsfotografie aus, indem die Bauten als machtvolle Agenten erscheinen, während individuelle Akteur*innen fehlen.

Der Aufsatz analysiert zunächst mittels Beschreibung, historischer Kontextualisierung und Vergleichen mit modernen und postmodernen fotografischen Praktiken und Theorien die formalen Gestaltungskriterien von Wylies Bilderserien. Darüber hinaus werden die Diskurse über Blickregime als Mittel von Herrschaft und Macht kurz erläutert. So wird deutlich, wie seine Fotografien einen intensiven Eindruck entfalten können, ohne Täter oder Opfer zu zeigen, sowie eine Form des Erhabenen, die den militärischen Konflikt nicht verklärt.

The Day Nobody Died

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Sichtbar unsichtbar

Nachdem sie in zahlreichen Konfliktregionen fotojournalistisch tätig waren, nutzen Adam Broomberg und Oliver Chanarin ihre Stationierung mit der britischen Armee in Afghanistan im Juni 2008 für einen kritischen Kommentar zum ,Theater des Krieges‘: Mithilfe der Soldaten transportieren sie eine 50 m lange Rolle Fotopapier in einer versiegelten, lichtbeständigen Box von London an die Frontlinie und zurück. In Situationen, die dem klassischen Abbildungsrepertoire der ereignisbezogenen Reportagefotografie entsprechen würden, setzen sie jeweils 6 m des lichtempfindlichen Papiers für 20 Sekunden der Sonne aus. Die so entstandenen Fotogramme sind abstrakt und suchen die Repräsentation und Narration zu unterlaufen. Mehr Spur als Zeichen, geben sie Raum für eine Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen und Einschränkungen des ,embedded journalism‘, mit der zweifelhaften Rolle der professionellen Augenzeug*innen und der oft unzulänglichen Darstellung von Kriegs- und Konfliktsituationen.

Kognitives Kartieren. Zum Atlas der Angst von Dirk Gieselmann und Armin Smailovic

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Wie den Bildern Wirksamkeit verleihen?

Das journalistische Projekt Atlas der Angst von Dirk Gieselmann und Armin Smailovic soll beispielhaft als eine ‚neue‘ Art des Kriegsjournalismus verstanden und interpretiert werden. Dabei geht es vorrangig darum, auf die Notwendigkeit einer neuen Art des Berichtens vom Krieg abzuheben, die letztendlich durch die Veränderung des ‚Gegenstands‘ Krieg selbst notwendig wird. Es geht weniger um die (subjektive oder dokumentierende) Abbildung des Konflikts als vielmehr um die Rekonstruktion von Erinnerungsbildern, Geschichtsorten und die Kartografierung diffuser Aussagesysteme. Eine spezifische Art der Aufschreibung (als Überlagerung) charakterisiert den Atlas der Angst. Der Atlas unternimmt den Versuch, den Krieg als Konsequenz einer vorausgegangenen ‚Befürchtung‘ (oder Paranoia) zu lesen, und erfasst Krieg, Gewalt und Konflikt als die Konsequenz der Verängstigung. Und er untersucht die Gründe dieser Verängstigung. Er befragt die Erinnerung, er befragt den Raum und die Orte, er untersucht Muster von Orientierung.

Zwischen Menschen, Bildern und Menschen. Ambivalente Beziehungen und alternative Praxis im fotografischen Spannungsfeld

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Wie den Bildern Wirksamkeit verleihen?

Im folgenden Beitrag wird die Frage nach einer alternativen Praxis der Fotografie ins Zentrum gestellt. Es wird ein Bogen gespannt, der von ambivalenten Erfahrungen beim Fotografieren in Konfliktregionen zu theoretischen Skizzen über das fotografische Spannungsfeld führt, das von ungleichen Positionen und Beziehungen der beteiligten Menschen geprägt ist. Davon ausgehend wird die Notwendigkeit formuliert, kollektive Praxis- und Übungsfelder zu erschließen, um die ambivalenten Beziehungen im Spannungsfeld der Fotografie als solche wahrnehmen zu können, sie nicht lediglich als Hindernisse im fotografischen Alltag zu betrachten, sondern einen menschenwürdigen Umgang mit ihnen zu entwickeln. Alternative Fotopraxis sollte demnach die Bedeutung der Beziehungen zwischen Menschen und Bildern, aber auch zwischen Menschen untereinander begreifbar machen. Mit der Generativen Bildarbeit wird in diesem Beitrag schließlich ein konkreter methodologischer Vorschlag gebracht, um auf kollektive Weise das transformative Potenzial fotografischer Praxis zu bedienen. Dabei lässt sich die Fotografie als Wahrnehmungs-, Interaktions-, Dialog- und Reflexionsform erschließen und sowohl für dialogische Bildungsarbeit als auch partizipative Forschung nutzen. Es vollzieht sich ein wechselseitiger Lernprozess, durch den die Beteiligten immer wieder mit ihren Handlungen, Bildern und Geschichten zueinander in Beziehung treten und die Grenzen zwischen ,eigen‘ und ,fremd‘ ausloten.

Das Paradigma zerlegen

Kapitel
Wie den Bildern Wirksamkeit verleihen?

Welche visuellen Kommunikationsstrategien können in einer von gesellschaftlichen Brüchen zerrissenen, globalisierten Welt dazu beitragen, entstandene Lücken zu füllen und die Gesellschaft voranzubringen? Angesichts des Wandels gesellschaftlicher
Dynamiken und der Transformationen, denen die Produktion und Rezeption von Bildern, insbesondere in einem digital geprägten Umfeld, unterliegen, erweist sich ein ungebrochenes Vertrauen auf Formen des 20. Jahrhunderts als unzureichend und irreführend. Wie können wir, im gleichzeitigen Bewusstsein des enormen, ebenso nutzbringenden wie destruktiven Potenzials digitaler Medien, einen kohärenten und fruchtbaren Paradigmenwechsel herbeiführen? Welche Rolle spielen dabei Fachleute oder ernsthafte Amateure? Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Subjekt, Rezipient*in und Fotograf*in innerhalb dieses Prozesses noch enger werden? Wie kann Fotografie als proaktives, auf das Verhindern bzw. Minimieren von Katastrophen hinwirkendes Medium anstatt als reaktives, auftretende Katastrophen abwartendes Medium gedacht werden? Wie kann das steigende technische Vermögen, die Trägermedien Fotografie, Video und Ton zu verbinden und zu synthetisieren, Kommunikation stören und eine Bedrohung für Demokratien darstellen? Wie kann man darauf angemessen reagieren? Schlussendlich: Wo stehen wir in Bezug auf unsere Nutzung visueller Medien und wo wollen wir hin?