Veranstaltung
Kapitel
Nichts als die Wahrheit

Digitale Fotografie mutet auf den ersten Blick an wie die Fotografie, die wir seit 180 Jahren kennen, und wir nähern uns ihr mit den gleichen Erwartungen. Doch das indexikalische Medium Fotografie ist weitgehend durch computergenerierte Prozesse ersetzt worden, welche all unsere Auffassung vom Bild als Beweisstück infrage stellen. Ausgehend vom historischen Beispiel der Aufnahmen von Kriegen des 19. Jahrhunderts, die Roger Fenton und Alexander Gardner während eines ähnlichen Umbruchs (des Übergangs von der Zeichnung zur Fotografie) machten, wird argumentiert, dass die Verwendung von Termini eines vergangenen Zeitalters zur Beschreibung eines neuen gewisse Gefahren birgt. Daraus resultierende Missverständnisse drohen die Botschaft zu verzerren, manchmal so weit, dass dargestellte Tatsachen negiert werden. Gleichzeitig verbergen sie die sich entwickelnden Qualitäten und nutzbringenden Möglichkeiten, welche das neue Medium bietet.

1 „Das erste Opfer ist die Wahrheit“: Verschiedene Versionen dieser Wendung sind seit Jahren geläufig, um zu beschreiben, wie Informationen in Konflikten verzerrt werden: Was wir meinen zu sehen, ist möglicherweise nicht das, was wirklich passiert ist. Als erster scheint Samuel Johnson den Satz verwendet zu haben: „Gemeinsam mit allem Elend der Kriege ist auch die schwindende Wahrheitsliebe zu nennen, bedingt durch Lügen, welche das Interesse diktiert und die Leichtgläubigkeit fördert“ (Samuel Johnson: The Idler, 1758; übersetzt aus dem Englischen). Als erster Kommentator im 20. Jahrhundert zitierte den Ausspruch wahrscheinlich der republikanische Senator von Kalifornien Hiram Johnson (1866–1945), und zwar mit den Worten: „Das erste Opfer, wenn der Krieg ausbricht, ist die Wahrheit“.