Anna Stemmler im Gespräch mit Christoph Bangert1

Der Diskurs über Sinn und Zweck des Betrachtens von Fotografien Toter und Verletzter aus Kriegen und Konflikten ist alt. Der Fotograf Christoph Bangert, der die leidvolle Grundlage solcher Bilder aus eigener Anschauung kennt, hat im Jahr 2014 mit seinem Buch War Porn 2 die Diskussion aufgegriffen und gleichsam handgreiflich auf die Betrachterverantwortung zugespitzt: Da der Seitenbeschnitt teilweise unterlassen wurde, können viele der Abbildungen erst angesehen werden, wenn man eigenhändig die Druckbögen zu Ende aufschlitzt. Nicht nur mit der Auswahl bislang unveröffentlichter Fotografien für War Porn, sondern auch mit der Form des Buches wird so ein Nachdenken darüber angeregt, welche Facetten des Krieges wir bereit sind wahrzunehmen und wo unsere Verdrängungsmechanismen einsetzen. 2016 folgte das Buch hello camel 3, das abseits des blinden Flecks der Medienöffentlichkeit bezüglich der Darstellung des Grauens nach weiteren medial unterrepräsentierten Aspekten des Krieges fragt.

AS:    In deinen Büchern War Porn und hello camel gibt es eingangs kurze Texte von dir, die sehr persönliche Statements zur vorgelegten Arbeit sind, aber auch ganz allgemeine knappe Umreißungen des widersprüchlichen Phänomens Krieg. War es das ambivalente Wesen des Krieges, welches du darstellen wolltest?

CB:     Wie ist Krieg tatsächlich? Das habe ich mich gefragt. Wie stellen wir uns den Krieg vor und welche Aspekte können wir uns nicht so richtig vorstellen? Ich versuche in beiden Büchern an diese Grenze zu gelangen und das Unerwartete zu zeigen. In War Porn geht es über das Vorstellbare hinaus in Richtung des Horrors, dieses wirklich unaussprechlich Schrecklichen. In hello camel dann in Richtung der Absurdität, des Komischen, Unverständlichen.

AS:    In hello camel bieten die Fotografien den Blick auf das, was im Einsatzgebiet außer Kampfhandlungen noch so stattfindet. Es zeigt sich eine sehr eigene Welt. Wie waren die Reaktionen auf hello camel? Das Buch wurde von der Presse viel weniger beachtet als War Porn.

CB:     Weil hello camel weniger spektakulär ist. Außerdem ist sein Grundgedanke noch schwieriger nachzuvollziehen als der Horror in War Porn. Menschen, die keine Kriegserfahrung haben, können den Horror noch irgendwie ahnen, aber dass im Krieg vieles total absurd ist, eigenartig und auch schon mal fast lustig, das ist so ein Konventionsbruch, bei dem du die meisten Leser*innen verlierst. Diejenigen jedoch, die selbst in irgendeiner Form Kriegserfahrung haben, sagen ganz klar, so skurril wie in hello camel ist es tatsächlich. Einerseits ein Ausnahmezustand, andererseits eine Suche nach dem Normalen im Extremen. Man hängt noch schnell ein schönes Poster auf, obwohl das eigene Leben und die ganze Welt gerade zugrunde gehen.

AS:    Nichtsdestotrotz ist auch hello camel ein Nachdenken über Krieg und dessen Sichtbarkeiten, aber vor allem seine Unsichtbarkeiten. 

CB:     Mit ihren ganz unterschiedlichen Herangehensweisen, die sich sehr schön ergänzen, sind die beiden Bücher ein bisschen wie Geschwister, sie gehören zusammen und stellen gemeinsam zwei Extrempole des Krieges dar. Bei hello camel fragt dich allerdings niemand: Darf ich das ansehen? Oder: Werde ich das aushalten? Auch deswegen gibt es weniger emotionale Reaktionen zu dem Buch. Zwischen diesen beiden Extremen spielt sich das Spektakuläre des Krieges ab, wie es in dramatischen journalistischen Bildern, aber auch in fiktionalen Hollywoodfilmen regelmäßig dargestellt wird. Es gibt jedoch noch einige andere Aspekte des Krieges, die viel verwirrender sind, viel schrecklicher, auch elender und trauriger, die gleichzeitig aber humorvoll sein können.

AS:    Die Bilder aus der ,Mitte‘ des Phänomens, vom Drama, folgen einer Erzählung des Sinnhaften, Heroischen und Dringlichen. Was bedeuten dann die Bilder von den Rändern in diesem Zusammenhang? Sie lassen, vielleicht gerade als Fotografien, als Momentaufnahmen, als unprozessuale Bilder, den gefundenen Sinn der medialen Berichterstattung wie der fiktionalen Weltschöpfung wieder zersplittern. Wie siehst du das?

CB:    Beide Bücher sind eine Art Tabubruch. Eigentlich darf man das nicht zeigen, nicht ansprechen, weil das Dargelegte so radikal unsere übliche Vorstellung des Krieges verlässt. Es ist für mich als Fotografen jedoch spannender, mit Bildern über die Elemente nachzudenken, die wir überhaupt nicht verstehen an so einem politischen Ereignis Krieg, als visuelle Klischees zu reproduzieren.

AS:    Bei War Porn war es auch vom Konzept des Buches her eindeutig, dass du ein Tabu verhandelst.

CB:     Viel deutlicher als bei hello camel. Hello camel ist irgendwie gutmütiger, während War Porn auf fast aggressive Weise mit diesem extremen Material umgeht. Es ist so ein kleines, im Grunde dahingerotztes Buch, das sagt: Du als Betrachter bist jetzt Teil des Experiments, du musst entscheiden, ob du dir alle Fotos anschaust oder nicht. Man ist am Anfang zunächst überfordert, aber meine Hoffnung war, dass die Betrachter schließlich überlegen, was mache ich mit so einem Buch, was mit diesen Bildern. Gucke ich mir das ganzeBuch an, gucke ich es mir langsam an oder schnell, mache ich diese geschlossenen Seiten noch auf oder nicht? Entscheiden, entscheiden, entscheiden, das war die Herausforderung dieses Buches. Das hat nicht nur für Fotoleute funktioniert, es war für eine sehr breite Betrachterschaft nachvollziehbar und regte zu Reflexionen an. 

AS:    Hast du darüber mit Betrachter*innen im persönlichen Kontakt reden können?

CB:     Bei den Vorträgen, die ich halte, sagen Zuhörer*innen oft, dass sie sich solche Fotos überhaupt nicht angucken könnten. Andere fragen hingegen, ob ich nicht noch schlimmere Bilder hätte. Es gibt die komplette Bandbreite an möglichen Reaktionen, jede und jeder hat eine ganz individuelle Schmerzgrenze bei solch extremem Bildmaterial. Viele sehr junge Menschen, Teenager, Twens, waren schockiert und meinten, das hätten sie so noch nie gesehen – oder es sich so nicht vorgestellt. Das hat mich sehr überrascht, ich dachte eigentlich, das ist die Generation, die aus ihren Videospielen, Horrorfilmen, dem Internet viel Schlimmeres gewohnt ist. Aber wir machen tatsächlich immer noch einen scharfen Unterschied zwischen Fiktion und Arbeiten, die aus der Realität stammen, obwohl das nicht zwangsläufig so sein müsste.

AS:    Weil beide Bildwelten gestaltet sind, bei beiden ein subjektiver Blickwinkel zum Tragen kommt?

CB:    Es gibt auch bei einer dokumentarischen Arbeit einen Autor, der Entscheidungen trifft. Auch als Fotojournalist*innen zeigen wir nicht die Realität, es ist immer eine Interpretation der Realität. Ich interpretiere das, was ich erlebe, was ich sehe und empfinde, und wandele das um in Bilder. Für mich müssen die Bilder ehrlich sein, sie müssen mit dem, was ich erlebt habe, in gewisser Weise übereinstimmen. Ich will die Leute nicht bewusst anlügen, aber ich zeige trotzdem nicht die Welt, wie sie wirklich ist, ich habe keine Ahnung, wie die Welt wirklich ist! Ich versuche nur, mich da ranzutasten, meine Sichtweise auf die Welt in Bildern auszudrücken, und hoffe, dass die Betrachter*innen auch etwas davon haben. Das Bild ist nicht nur für mich, sondern die Idee ist, die Bilder zu teilen, zu veröffentlichen. Sie sollen eine gesellschaftliche Funktion haben. Dennoch handelt es sich in ihnen nicht um die Realität. Und trotzdem machen wir diese stark wertende Unterscheidung zwischen fiktiv und real, das ist sehr spannend. Bei meinen beiden Buchprojekten kam das sehr deutlich zum Vorschein. Die Betrachter*innen spüren, das hat seinen Ursprung im echten Leben. Es geht um konkrete Personen, es gibt einen gewissen Wahrheitsanspruch, dann macht es klick im Kopf und wir sehen die Bilder anders … Fiktion und Realität: Die Differenzierung ist uns heilig.

AS:    Vielleicht sind Konfliktbilder dafür ein besonderer Kristallisationspunkt. Der Genuss von Zerstörungsbildern als Unterhaltung funktioniert durch das Wissen um deren Fiktionalität. Eingebettet in einen Filmzitatreigen wie in Tarantinos Werken ist es möglich, brutalste Gewalt zum Lachen zu finden. Dass das mit dokumentarischen Bildern nicht geht, dafür gibt es ja auch gute Gründe. In dem einen Fall geht es um Menschenleben. Im anderen werden nur die Bilder geschaffen. Solange niemand dabei umgebracht wird – bitte schön.

CB:     Manchmal wird das Echte auch abgewertet, nach der Devise, wenn alle unsere Bilder inszeniert wären, dann würden sie dadurch intelligenter. Den Eindruck hat man manchmal z. B. bei Max Pinckers – dessen Arbeiten ich durchaus sehr interessant finde.4 Während sich bei ihm viel inszenierte Fotografie ein bisschen mit dem Dokumentarischen mischt, möchte ich jedoch nicht alles inszenieren. Mir schiene das eine Einengung.

AS:    Die Realität ist einfach das Komplexeste, dem wir uns aussetzen können. Die Begegnung mit der Zufälligkeit, das Kontingente der Fotografie kann man mit aller Inszenierung nicht einholen.

CB:     Diese Zufälle, die Dinge, die ich mir eben nicht ausdenken kann, die ich nicht kontrollieren kann, dieses Einlassen auf eine Situation, wie ich sie vorfinde, das wird nie langweilig sein.5 Es muss in der Fotografie allerdings beide Ansätze geben, Inszenierung und Interpretation. Ich bin Fotojournalist und Dokumentarfotograf, ich inszeniere meine Bilder nicht, aber einige der interessantesten Arbeiten, die ich z. B. jetzt auch hier an der Hochschule Hannover oder in Dortmund betreut habe, sind inszenierte Fotografien. Es ist sehr spannend, welche Ideen die Studierenden haben. Wenn man sich die Offenheit dafür bewahrt, wenn man nicht vergisst, dass es nur eine Fotografie gibt, die allerdings viele wunderbare Facetten hat, dann wird es gut.

AS:    Dann würde mich jetzt trotzdem noch interessieren: Fiktive Gewaltbilder – guckst du dir so etwas überhaupt an? Oder hat man, wenn man die Realität dazu kennt, keinen Gewinn mehr vom Eintauchen in die Fiktion davon?

CB:     Es kommt darauf an. Wenn es sehr gut gemacht ist, wie etwa Coppolas Apocalypse Now 6, dann jederzeit. Colonel Kurtz’ letzte Worte „The horror … The horror …!“…  Das ist fast schon – fast – die Essenz dessen, was in der Realität statt findet.7

AS:    Das wäre Kunst als Zuspitzung, um eine Wahrheit herauszukitzeln?

CB:     Absolut. Durch die künstlerische Bearbeitung des Themas wird etwas Wesentliches nachvollziehbar, und da gehe ich mit. Aber wo es nur um die Schaffung eines ungebrochenen Heldenbildes oder reines Spektakel geht, auf keinen Fall.

AS:    Vielleicht könnte diese Kritik ja auch auf Teile des Fotojournalismus zutreffen: künstliches Drama, Fokus auf Helden …?

CB:     Krieg ist zwar ein spektakuläres Thema, das immer Interesse wecken wird, auch zu Recht, aber es reicht nicht, bei einer Arbeit über den Krieg nur an der Oberfläche rumzukratzen. Nicht nur im Fotojournalismus, auch in der künstlerischen Fotografie oder im Kino muss man sich bemühen, jenseits von Drama, offensichtlichem Spektakel und Heldendarstellungen in die Tiefe zu gehen. Man muss nicht in den Krieg fahren, um eine intelligente Arbeit über den Krieg zu machen. Bertolt Brecht hat sich für seine Kriegsfibel – das Original, nicht den War Primer 2 – in Dänemark im Exil jeden Tag hingesetzt und die verfluchte Zeitung auseinander gerupft. Der wusste, was läuft. Er war selbst nicht wirklich im Krieg, glaube ich. Trotzdem ist seine Kriegsfibel eine ganz wichtige und großartige Arbeit über den Krieg. Dieser intensiven Auseinandersetzung muss man sich ausliefern, es muss schon ein bisschen weh tun.

AS:    Würdest du also sagen, es ist möglich und sinnvoll, dass diejenigen, die Kampferfahrung haben, und die zu Hause gebliebenen Zivilist*innen trotz radikal verschiedener Gewalthorizonte in einen Dialog eintreten?

CB:     Ja, das wäre die Herausforderung, die muss man annehmen.

AS:    Bilder geben unter Umständen alles fotografisch Aufnehmbare zu sehen und trotzdem gelingt es nicht restlos, die dazugehörige Erfahrung oder Situation zu vermitteln.

CB:     Jemandem, der noch keinen Krieg erlebt hat, wird man nicht mit Bildern oder Texten erklären können, wie das wirklich ist. Das ist aber nicht schlimm.

AS:    Wenn man Erfahrung nicht mehr diskutieren könnte, sobald man sie nicht exakt teilt, wäre sämtliche menschliche Kommunikation zum Scheitern verurteilt.

CB:     Klar. Viele der Dinge, über die wir lesen oder die wir in Filmen sehen, haben wir so nicht selbst erlebt. Deswegen hören wir uns ja Geschichten an.

AS:    Könnte das Interesse an sogenannter Kriegspornografie auch etwas damit zu tun haben, dass Menschen versuchen, entweder etwas über den Krieg zu lernen oder die eigenen Erfahrungen mit dem Krieg möglichst authentisch weiterzugeben?

CB:     Beim ,war-porn‘-Phänomen handelt es sich um ,trophy shots‘ mit Getöteten, Fotos von Explosionen, schlimmen Verwundungen, also wirklich eklige Sachen, die online getauscht werden wie sexuelle Pornografie, durchaus ebenso zur – allerdings unspezifischen – Stimulation, aber auch als Propagandamaterial. Es sind interessanterweise nicht nur Kämpfer aller Kriegsparteien involviert. Auf den Handys der einheimischen Zivilbevölkerung in Afghanistan und im Irak werden solche Bilder öffentlich auf dem Markt herumgezeigt.

AS:    Das ist neben dem Effekt der ideologischen Selbstbestätigung – unnötig grausam oder aber schwach, verletzlich und unwürdig sind immer die anderen – vielleicht auch ein Versuch, die Konflikterfahrung irgendwie zu verarbeiten. Indem man ein Bild davon teilt, versucht man da eine Reflexionsebene einzuziehen, die der Sache natürlich überhaupt nicht gerecht wird. Wie siehst du das?

CB:     Gerade die jungen US-Soldaten haben im Einsatz gemerkt: Shit, ich bin immer mit meiner Freundin am Telefonieren, die kann sich das gar nicht vorstellen, was hier abgeht. Und dann haben sie angefangen, Videos und Fotos zu machen.

AS:    Auf eine Weise haben sie damit aber auch das Traumatische ihrer Erfahrung an die Heimatfront vermittelt. Entgegen dem Reflex deines Großvaters, der nur von seinem tollen Pferd erzählt hat und davon, was sie für einen Spaß hatten bei diesem großartigen Abenteuer Krieg. Die Wahrheit wäre wahrscheinlich, dass man als Heimkehrer sagen müsste: Ich habe ganz schreckliche Sachen gesehen und schreckliche Dinge getan und ich komme damit eigentlich überhaupt nicht klar. Ich weiß manchmal nicht, warum ich so gehandelt habe, und auch nicht, wie ich das erzählen soll.

CB:     Ist die Frage: Wer will das hören?

AS:    Kann man mit solch krassen Aufnahmen, wenn auch anders kontextualisiert als beim Online-Porno-Tausch, gegen das Schweigen über die Schrecken des Krieges arbeiten? Oder steht zu befürchten, dass die Bilder einfach nur eine schockierende, wenn nicht traumatisierende Wirkung haben und die Betrachter*innen hinterher trotzdem nicht genug vom Krieg verstehen, um zu einem neuen Handeln zu gelangen?

CB:     Ich glaube nicht, dass Leute traumatisiert werden, nur weil sie Bilder ansehen. Das ist ja manchmal das Argument gegen das Zeigen meiner Fotografien: Man darf doch die Menschen nicht so traumatisieren … Das sind nur Bilder! Höchstens ein Abbild, eigentlich nur eine zweidimensionale Interpretation des Gesehenen. Mit dem Dargestellten an sich hat das nicht so viel zu tun. Im Fall von War Porn war das, was tatsächlich geschehen ist, noch viel, viel schlimmer. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn die Leute sagen, es sei traumatisierend, diese Bilder zu sehen – die haben keinen blassen Schimmer, wie traumatisierend das für die Zivilbevölkerung in den jeweiligen Kriegsgebieten ist, da so durch die Hölle zu gehen. Das ist das Trauma, dass die Leute da zu Tode gefoltert wurden. Nicht das Bild, das ich dann den Leuten unter die Nase halte und das ich sie bitte anzugucken, ich zwinge ja niemanden, das muss ja wirklich jeder selber entscheiden. Es ist nur ein Angebot. Aber ich habe, denke ich, das Recht, dieses Angebot zu machen. Das Betrachten des Bildes ist, vom Erlebnis her, lächerlich klein im Vergleich zu dem wirklich Geschehenen.

„adventurous, fun affair. He talked of nothing but his horse. It was called Malinki. My grandfather was a Nazi. A true believer until the day he died.“ Christoph Bangert: aus dem Buch War Porn, Kehrer Verlag, 2014. © Christoph Bangert, Repro Lise Straatsma.

AS:    Du machst dir jedenfalls wenig Sorgen um die Leute, die nur die Bilder betrachten.

CB:     Nein! Also wenn die Leute befürchten, von meinen Bildern traumatisiert zu werden, dann muss ich sagen, sorry, aber das könnt ihr aushalten.

AS:    Das ist genau das Problem mit dem Transfer der Erfahrung. Damit wir uns alle verstehen und damit wir alle gemeinsam verstehen, was Krieg ist, musst du ein intensives Stück der Erfahrung übertragen. Und das wird auch ein bisschen wehtun, wie du schon gesagt hast, weil es sonst nicht ankommt – oder nicht angemessen wäre. Es wirkt wegen der Scheu vor diesem potenziellen Schmerz manchmal so, als ob es beim Thema Krieg eine Vermittlungsproblematik gäbe, die man sonst nicht hat. Als ob die Kriegswirklichkeit eine harte Grenze bildet, die in der Repräsentation nicht überschritten werden sollte.

CB:     Wir haben beim Krieg zu viele Sonderregeln für die mediale Umsetzung im weitesten Sinne (also auch für Spielfilme oder Romane). Dabei ist ja das Schlimme an Krieg, dass er so etwas Alltägliches ist. Das findet seit Menschengedenken zu jeder Zeit jeden Tag irgendwo statt. Wir haben als Journalist*innen wie als Künstler*innen die Verpflichtung, uns damit zu beschäftigen, zu reflektieren, andere zu informieren und zur Reflexion anzuregen. Dabei muss es für jedes Feld gewisse Übereinkünfte geben. Wir bewegen uns innerhalb dieser und jener Parameter, das Spielfeld ist ungefähr soundso groß, für alle. Das sind Konventionen und damit auch willkürliche Setzungen. Warum verschieben wir als Fotojournalist*innen z. B. keine Pixel in unseren Bildern? Könnten wir natürlich machen, das Bild ist sowieso immer eine Interpretation: Fotografie ist ein technischer Trick, scheinbare Abbilder der Realität zu schaffen. Man könnte durchaus argumentieren, dass das Bild auch nach der Pixelverschiebung noch einen gewissen Wahrheitsgehalt hat. Wir sagen jedoch künstlich von außen: Das Spiel hat 90 Minuten, diese Linien markieren das ,Aus‘ und daran halten wir uns alle. Das ist so etwas wie ein Gesellschaftsvertrag. Dann wird nachvollziehbar, auf was für Bilder man schaut.

AS:    Dann wissen die Betrachter*innen auch, mit welchen Erwartungen sie an das Bild herangehen können.

CB:     Es wird auch legitimer. Die Wahrscheinlichkeit, dass Leute bewusst belogen werden, ist geringer. Aber man muss für Kriegsdarstellungen keine Sonderregeln aufstellen. Leider ist Krieg etwas ganz Banales, das wir genauso behandeln sollten, wie wir andere politische Themen behandeln, wie wir gesellschaftliche Umwälzungen behandeln, wie wir auch unser sonstiges Leben auf diesem Planeten dokumentieren, reflektieren, uns darüber austauschen.

AS:    Das würde dafür sprechen, weniger Selbstzensur vorzunehmen.

CB:     Warum auf einmal diese falsch verstandene Pietät? Nur weil es auf einmal ganz schrecklich ist, ist es ja nicht weniger wichtig oder weniger beachtenswert. Natürlich müssen wir die Rechte der Opfer solcher Gewalttaten schützen. Aber wenn wir das ganz konkret machen, diese Berichterstattung und dieses Nachdenken über den Krieg, wenn wir uns auch die Mühe machen, über diese Menschen als Personen nachzudenken, dann sind wir den Opfern eher gerecht geworden, als wenn wir sagen, wir beschäftigen uns gar nicht damit, weil wir sonst vielleicht moralische Probleme kriegen. Ein heikles Thema, die Opfer, die durch die Bilder noch ein mal zu Opfern gemacht werden – wenn wir jedoch nie die Opfer und deren Leid anerkennen, sind wir ihnen überhaupt nicht gerecht geworden.

AS:     Wir sollten wenigstens die Bilder angucken?

CB:      In meinem Fall die Bilder angucken, aber uns auch für die Ereignisse interessieren. Sagen, es ist mir nicht egal, was geschieht, auch wenn es ganz woanders war und die Menschen vielleicht ein bisschen anders aussehen als ich. Das Buch War Porn ist deswegen so ein besonderes Projekt, weil es über den kleinen Kreis der Fotowelt hinausgegangen ist. Auf einmal haben wir breiter über Krieg gesprochen und über Bilder vom Krieg, über Selbstzensur und über die Dilemmata des Hin- und des Wegsehens, die dabei entstehen, und nicht mehr nur darüber, wie das Fotobuch gebunden ist oder ähnliche formale Fragen. Die meisten der Bilder sind als Nachrichtenfotografie für die New York Times entstanden, wurden dann aber nicht in diesem Kontext veröffentlicht. Durch das Buch ist diese Sammlung von Fotografien vom Nachrichtenkontext in den Feuilletonkontext gewandert, sie war auf einmal ,Kultur‘. Daraufhin wurde meine Arbeit ganz anders besprochen und ich wurde viel eingeladen, zu Presseinterviews, Deutschlandradio, TTT, arte 8 Diese Kontextverschiebung war sehr interessant.

AS:    Solch ein Verschieben der Umstände bedeutet auch eine größere Sichtbarkeit und damit Wirksamkeit für die Bilder. Wären dieselben Fotos unkommentiert im Pressekontext abgedruckt worden, wären es einfach weitere Gräuelbilder unter vielen gewesen. Vielleicht hätten sich ein paar Leser*innen beschwert. Das heißt jedoch nicht, dass es dann dieselbe Diskussion gegeben hätte.

CB:     Das Anfertigen, Veröffentlichen und Besprechen von Kriegsbildern haben eine Funktion, die über eine affektive Schockwirkung hinausgeht. Fotos von Menschen zu machen, die einen Verkehrsunfall hatten, wäre vergleichsweise absurd. Solch ein Einzelschicksal sieht ähnlich aus, wenn es schlimme Verletzungen gegeben hat, und ist auch tragisch, aber es ist in der Regel nichts Politisches. Krieg hingegen ist ein Ereignis, bei dem Menschen entschieden haben, dass es statt finden soll. Das ist es, was mich wütend macht – und auch die Betrachter*innen wütend machen sollte. Deswegen haben Kriegsbilder eine Aufgabe und sind eben kein Voyeurismus. Die Dargestellten sind keine Statisten, keine Schauspieler, es sind Menschen wie du und ich, und wenn wir uns nicht mit diesen Bildern, auch diesen Geschichten und diesen Menschen beschäftigen, dann haben wir eigentlich auch nichts auf diesem Planeten verloren. Das müssen wir machen. Das ist eine ganz grundlegende, einfache Empathie. Dass es schwierig ist, eine Herausforderung, sich mit solchen Bildern zu beschäftigen, das ist klar. Selbst mir fällt es schwer, sie anzugucken, und ich habe sie selbst gemacht, ich war dabei. Wenn jemand sagt, ich kann das jetzt nicht, dann habe ich davor Respekt, aber man muss es wenigstens versuchen, nicht sich mit einem lahmen „Es ist mir ein bisschen zu viel“ herauswinden. Den Leuten im Irak und in Afghanistan ist es vielleicht auch ein bisschen zu viel.

AS:    Gibt es für dich bei aller Sinnhaftigkeit journalistischer Bilderzeugung Grenzen dessen, was du fotografierst? Gibt es Sachen, wo du gar nicht hingucken würdest?

CB:     Nein. Fotografieren muss ich alles, wenn ich darf. Wenn Leute sagen, ich möchte nicht fotografiert werden, oder ich möchte nicht, dass du meine Angehörigen fotografierst, dann fotografiere ich natürlich nicht. Logisch. Ich bin ja kein Paparazzo. Das Einverständnis des Fotografierten ist bei meinen Bildern immer gegeben. Auch wenn ich bei meiner Arbeit einige Leichen fotografiert habe: Man ist nie alleine, da sind immer Leute dabei, und dann hat man entweder das Einverständnis oder eben nicht. Wenn du es nicht hast, dann machst du keine Fotos.

AS:    Das hat dann aber nichts mit deiner Selbstzensur zu tun, sondern das wäre eine Entscheidung des Kontextes.

CB:     Die Selbstzensur kommt später. Wenn ich fotografieren darf, muss ich zunächst fotografieren. Wenn ich das nicht kann, weil es mir zu viel ist und ich überfordert bin, dann darf ich eigentlich in dieser Situation nicht anwesend sein. Es ist ja gerade meine Aufgabe zu fotografieren. Wenn man jemandem helfen muss, weil sonst niemand da ist zum Helfen, dann muss man zuallererst Hilfe leisten. Du bist immer erst Mensch, dann bist du Fotograf– ganz logisch, klar. Aber wenn du darfst und es gibt nichts anderes, noch Wichtigeres zu tun, dann musst du fotografieren, das ist deine Aufgabe, auch in Extremsituationen – wenn es eine Funktion, eine politische Dimension und Relevanz hat. Als nächster Schritt kommt die Reflexion: Was mache ich mit diesen Bildern, schicke ich sie an die Redaktion oder nicht? Welches schicke ich? Das muss man tatsächlich für jedes Bild einzeln entscheiden, man kann das nie pauschal festlegen. Man kann nicht etwa sagen: Bilder, wo tote Kinder drauf sind, darf man grundsätzlich nicht schicken. Solche Regeln aufzustellen bringt nichts. Du musst von Bild zu Bild prüfen: War das so, fühlt es sich richtig an? Ist es ehrlich, stimmt es mit dem, was ich erlebt habe, überein oder nicht? Und ist es für Betrachter*innen nachvollziehbar? Dann muss man die Bildunterschrift schreiben, und dann schickst du es an die Redaktion, so, wie du die Text-Bild-Kombination als Autor haben willst. Die Redaktion macht dann im Grunde genommen noch einmal das Gleiche. Wenn es gut läuft, sollte die Redaktion überlegen: Was wollen wir den Betrachter*innen zeigen, was ist uns wichtig, was ist da wirklich geschehen, ist es ehrlich usw.?

AS:    Hast du mit Redaktionen Auseinandersetzungen wegen der Bildauswahl gehabt?

CB:     Die allermeisten Fotos, die ich in War Porn aufgenommen habe, hatte ich tatsächlich an Redaktionen geschickt. Das war auch ein bisschen eine Trotzreaktion vor Ort. Du schickst Bilder, von denen du haargenau weißt, die werden sie nie im Leben drucken. Es ist etwas Schreckliches drauf und du schickst es trotzdem, um es dem Redakteur nicht zu leicht zu machen – auch, um nicht alleine diese Last zu tragen. Man zieht die Redakteure ein wenig in den Dreck mit rein, in dem man im Kriegsgebiet watet. Nicht zuletzt, damit sie verstehen, wie ernst die Lage vor Ort ist. Daraufhin gab es gelegentlich eine Diskussion mit den Redaktionen, aber leider nicht genug. Dabei spielt der Zeitdruck eine große Rolle. Ich möchte die Bildredakteur*innen trotz meiner Frustration etwas in Schutz nehmen, denn die Textredaktionen sind in der Regel ungefähr zehnmal so gut besetzt wie die Bildredaktionen, d. h., es arbeiten zehn Textredakteur*innen pro Bildredakteur*in. Diese eine Person soll aber alle zehn Geschichten, die in der Textredaktion entstehen, bebildern. Da bleibt nicht viel Zeit zum Überlegen. Hinzu kommt: In vielen Redaktionen sind die Bildredakteur*innen nur Bilderraussucher*innen. Oft ist es so, dass das letzte Wort bei irgendeinem Auslandschef, Ressortleiter oder Textchef liegt. Das ist unbefriedigend. Man sollte die Bildredakteur*innen ernster nehmen, sie müssten Dinge aufgrund ihrer speziellen visuellen Kompetenz entscheiden dürfen. Ein stärkerer Austausch zwischen den Autor*innen, also den Fotografinnen und Fotografen vor Ort, und den Bildredaktionen wäre ebenfalls wünschenswert. Wie bei den Texten auch – mit dem Material hin- und hergehen, bis das richtige Bild gefunden ist.

AS:    Du hast in der Regel für Redaktionen gearbeitet?

CB:     Ich habe nie für Nachrichtenagenturen gearbeitet, weil dann die Bildrechte weg sind. Wenn du wirklich viele Leute erreichen willst, musst du natürlich für die dpa fotografieren. Wenn Agenturfotograf*innen jedoch eine Ausstellung machen wollen oder ein Buch, müssen sie ihren Arbeitgeber um Erlaubnis fragen.

AS:    Der Nachrichtenkontext scheint eine bestimmte Bildästhetik zu favorisieren. Wie stark gestaltest du deine Fotografien, und inwieweit ist das sinnvoll oder nötig?

CB:     Ich muss mein Bild gestalten, das ist meine Aufgabe. Ich kann doch nicht irgend so einen Kameraingenieur in Japan bestimmen lassen, wie mein Bild aussehen soll. Als Autor muss ich entscheiden, was im Bild sichtbar werden soll, aber auch, wie die Farben wirken sollen und von wo das Licht kommt. Wir müssen uns für journalistische Bilder an unser vereinbartes Spielfeld halten, schon damit die Fotos lesbar bleiben. Ästhetisierung ist gerade bei diesem Material ein Riesenproblem. Wie schön darf das Bild sein, wie dramatisch darf es sein, wenn es um ein ernstes Thema geht? Wenn ein Punkt erreicht ist, wo es nur noch um den Fotografen geht und darum, wie toll der Bilder bauen kann oder wie dramatisch die Lichtführung ist, wenn es gar nicht mehr um inhaltliche Fragen oder die Menschen, die da fotografiert werden, geht, dann stimmt etwas nicht. Man muss immer wieder abwägen: Ringe ich nur noch um ein spektakuläres Bild oder hat das Bild auch noch eine Funktion über seine Ästhetik hinaus?

AS:    Das würdest du für alle Bilder ansetzen oder sollte man, wenn man mit Folgen massiver Gewalt konfrontiert ist, noch mal sorgfältiger oder anders arbeiten?

CB:     Nein, genau dieselben Regeln für alle Bilder, wir brauchen keine Spezialregeln für Konfliktbilder. 

AS:    War Porn und hello camel sind ästhetisch und motivisch sehr verschieden. Wählst du dafür jeweils eine unterschiedliche Art des Fotografierens?

CB:     Man kann eigentlich nur so fotografieren, wie man fotografiert. Für mich zumindest ist es relativ intuitiv. Ich versuche, mich auf die Situation einzulassen. Meist weiß ich erst hinterher, ob es geklappt hat oder nicht.

AS:    Du hast ja auch ein Gespür für deine ,Werkzeuge‘.

CB:     Die Wahl der fotografischen Mittel entwickelt sich aus dem Thema und aus der praktischen Arbeit vor Ort heraus. Das ist bei mir keine konzeptuelle Arbeit, bei der ich vorab beschließe, jetzt fotografiere ich Leichen, die müssen alle mit dem 50er-Objektiv sein. Die hello-camel-Aufnahmen sind offensichtlich anders fotografiert als die War-Porn-Bilder. Die War-Porn-Sachen sind viel direkter, nicht so weitwinklig fotografiert wie viele der hello-camel-Fotos. Der extreme Weitwinkel, oft mit Zentralperspektive, überspitzt die Absurdität, das Eigenartige, die Überforderung auch, die man ein bisschen empfindet, wenn man mit diesen Bildern konfrontiert ist. Es wäre irreführend, wenn man dasselbe mit den War-Porn-Bildern machen würde, die stärker am konkreten Erzählen einer Tatsache, weniger an ihrer Einbettung in einen visuellen Gesamtzusammenhang interessiert sind. Nicht alle, es sind auch ein paar Bilder dabei, die fotografisch einfach ganz gut sitzen, aber sie haben nicht den extremen Weitwinkel von hello camel.

AS:    Woher kommt dann der Eindruck, dass du verschiedene Bildsprachen verwendest?

CB:     Zum Teil entsteht die ästhetische Stringenz nicht schon beim Fotografieren, sondern erst hinterher bei der Auswahl. Für ein Buch wie hello camel achtest du darauf, dass sich eine gewisse Linie ergibt, dass du Bilder findest, die kombinierbar sind. Wenn du Bilder in die weitwinklige Serie einfügst, die mit dem 50er aufgenommen sind, stellt sich schwerlich der gewünschte Gesamteindruck her, weil die Fotos visuell so anders sind.

Ein einsamer Tisch steht im Offizierskasino einer neu gebauten Basis der irakischen Armee namens Al-Kisik. Der Tisch wurde für ein Treffen zwischen Vertretern der irakischen Regierung und lokalen Scheichs aufgebaut, die einige der 82 lokalen Stämme in Tal Afar kontrollieren, einer Stadt zwischen Sinjar und Mosul, die von ca. 200.000 irakischen Turkmenen bewohnt wird. 4. Juni 2005, nahe Tal Afar, Nineveh, Irak. Christoph Bangert: aus dem Buch hello camel, Kehrer Verlag, 2016. © Christoph Bangert.

AS:    Manche der Absurditäten, die du bei hello camel zeigen willst, entstehen aus einem Kontrast zwischen einer Ordnung und einem unerwarteten Inhalt. Man hat scheinbar eine Landschaftsaufnahme vor sich, und dann liegt da mittendrin klappsymmetrisch der verlorene Humvee Bumper. Brauchst du dafür den Raum im Bild?

CB:     Die zwei Schritte Abstand, ja. Auch das Bild des einsamen Tischs in einer Blechhalle der irakischen Armeebasis Al-Kisik würde nicht funktionieren, wenn ich nur den Tisch fotografiert hätte. Dann wäre es nur ein Bild von einem Tisch, aber interessant ist ja bei solchen Bildern alles außer dem Tisch, der Raum, der durch mein ,framing‘ entsteht, der Rahmen, den ich durch meinen Bildausschnitt drum herum baue, der Tisch in der Mitte und ringsherum alles leer … Diese Leere ist das Absurde.

Die verloren gegangene Stoßstange eines Humvee im Arghandab-Tal. Nachdem ein amerikanischer Humvee im Schlamm stecken geblieben war, riss bei dem Versuch, ihn mittels eines weiteren Fahrzeugs zu befreien, die Stoßstange ab. Die Region, in der es häufig zu Angriffen der Taliban auf amerikanische Streitkräfte kommt, ist die wohl gefährlichste des Landes. 10. Mai 2010, Arghandab, Kandahar, Afghanistan. Christoph Bangert: aus dem Buch hello camel, Kehrer Verlag, 2016. © Christoph Bangert.

AS:    Auch die Aufnahmen in War Porn wirken nicht ungestaltet?

CB:     Am liebsten willst du in so einem Moment nicht fotografieren, du willst eigentlich nach Hause fahren. Das ist aber gerade das Wichtige, dass man selbst dann, wenn es echt schwerfällt zu arbeiten, die Konzentration aufbringt und auch den Willen, gute Fotos aufzunehmen. Die aufgebaut sind, die eine gewisse Lichtführung haben. Darüber denke ich nicht nach, das tue ich automatisch. Das kommt aus der Erfahrung und aus der Ausbildung, dass du deine Gestaltungsmittel auch unter Stress beherrschst. Das Ziel ist ja, gute Bilder zu machen, nicht schlechte Bilder von wichtigen Dingen, sonst guckt sie ja keiner an!

AS:    Obwohl du auf Lichtführung und Bildaufbau geachtet hast, kann man dir für War Porn offensichtliches Über-Ästhetisieren nicht vorwerfen. Oder kommt das vor?

CB:     Ich habe schon einmal ein Buch über den Irakkrieg gemacht, da hieß es: „Du ästhetisierst den Krieg, das ist alles viel zu schön, viel zu toll aufgebaut“ usw. Das ist etwas, was mit zu dem Buch War Porn geführt hat. Meine Reaktion auf die Vorwürfe war: Ihr könnt gerne denken, dass meine Fotos ästhetisiert sind oder voyeuristisch, pornografisch, die Leute ausnutzend … Dann nenne selbst ich das jetzt mal ,war porn‘, ist aber egal, die Bilder sind da, wir müssen etwas damit machen. Ich weiß zwar auch nicht so genau, was, aber wir müssen diese Bilder in irgendeiner Weise veröffentlichen und verwenden, sie müssen für eine sinnvolle Aufgabe genutzt werden.

AS:    Man kann Gestaltung bei Fotografie, wie übrigens auch im Dokumentarfilm, erstens nicht vermeiden, zweitens ist es durchaus sinnvoll, dass man keine schlechten Bilder von einer wichtigen Sache macht, okay. Trotzdem gibt es im Fotojournalismus eine Tendenz, das in irgendeiner Weise Auffällige oder Dramatische zu fokussieren. Ein Leichnam als Motiv hat per se etwas Dramatisches. Bei dir habe ich dennoch den Eindruck, dass so ein Motiv in der Regel nicht zusätzlich noch einen dramatischen Touch oben drauf kriegt?

CB:     Das ist der Versuch. Das liegt natürlich auch am Edit und an der Bearbeitung der Bilder. Wenn ich die Fotos schwarz-weiß machen würde und der Himmel auf einmal sehr dunkel wäre, dann wäre es ein komplett anderes Bild. Das nicht zu machen, ist meine Entscheidung als Autor. Dabei sollte man sich fragen: Geht es um mich oder um die Leute, die ich fotografiere? Oder um beides? Meistens geht es natürlich um beides. Fotografen wie Salgado und Nachtwey machen Projekte, bei denen sie ihre – wie sie es empfinden – besten Bilder zeigen, die dramatischsten Bilder, das Aufregendste. War Porn hingegen sind nicht meine besten Bilder. Hier ging es darum, etwas mit den Bildern zu machen, die ich in meinem Archiv habe und mit denen ich nicht zurechtkomme. Deswegen kann man dieses Projekt und die Best-ofs von Nachtwey und Salgado nicht ganz vergleichen. Beide Werke, hello camel und War Porn, sind tatsächlich Ideen in Buchform, für die ich Fotografien unter einer bestimmten Fragestellung ausgewählt habe. Deswegen kommt man hier mit einem Vergleich der Ästhetisierung nicht so richtig weiter. Ich weiß aber, was du meinst. Ich habe für das War-Porn-Projekt bewusst Bilder ausgesucht, die weggehen von der üblichen Dramatisierung. Hier geht es tatsächlich nicht um das beste Bild. Da sind auch fotografisch problematische, mittelprächtige Bilder dabei, von der Lichtführung, vom Aufbau, von der ganzen Gestaltung her.

AS:    Inwiefern wäre es im Interesse der Sache, eher Alltägliches in den Blick zu nehmen? Was im Falle von Krieg hieße, die Kamera auch auf Verletzungen zu richten, die Leichen ebenso mit einzubeziehen wie die Leere, die Langeweile, die Konstruiertheit. Vom Motiv her wäre das Alltag, nämlich Kriegsalltag. Nicht nur die Helden zeigen, nicht nur die Zuspitzung eines ,decisive moment‘ ablichten?

CB:     Nicht immer nur das Drama … Ich glaube, wir brauchen beides. Wenn wir nur hello camel und War Porn hätten, wäre das auch kein stimmiges Gesamtbild vom Krieg. Wir brauchen alle diese Elemente, z. B. auch Arbeiten, in denen Leute einfach nur porträtiert werden, die Teil des Kriegsgeschehens sind. Und Künstler*innen, die sich mit dem Phänomen Krieg beschäftigen, die etwa inszenierte Arbeiten machen. Das Komplexe, Widersprüchliche verlangt eine breite Herangehensweise. Wir sollten nicht den Fehler machen zu sagen, ich weiß, wie Kriegsdarstellung geht, ich habe die Generallösung gefunden.

AS:    Dennoch sind War Porn und hello camel sehr veritable Versuche in der Frage, wie man den Horror, die Skurrilität und Komplexität des Krieges irgendwie fassen kann.

CB:     Oder auch nicht fassen kann. Das ist ja genau der Punkt: Man kann es eben nicht fassen, man kriegt das gar nicht auf eine einfache Definition zusammengeschmolzen. Extremsituationen wie Krieg bringen das Beste und das Schlechteste hervor, und manchmal aus derselben Person gleichzeitig. Das ist sehr ambivalent und zugleich sehr pur. Das Interessante daran ist, dass sich während eines Krieges auf der Oberfläche abspielt, was sonst im Alltag nur tief drin schlummert.

AS:    Das zeigt sich auch in deinen Fotografien. Ich finde es gut, dass nun beide Bücher vorliegen, weil sie zwischen sich einen breiteren Raum eröffnen und jeweils füreinander einen besonderen Kontext herstellen.

CB:     Vielleicht. Das wäre meine Hoffnung, dass sich die beiden Extreme in den Bildern lesen lassen. Gerade bei hello camel hat mich überrascht, dass es recht gut funktioniert. Am Anfang war das mehr so eine lose Sammlung von eigenartigen Bildern. Erst nach und nach hat sich ein Konzept herausgeschält. Ich werde wohl für die breitere Öffentlichkeit auf ewig der Pornofotograf bleiben, das ist schon okay, aber für mich persönlich ist auch hello camel sehr wichtig, weil sich dieses Projekt mehr über die Fotografie selbst trägt. Das ist zugleich seine Schwäche. Durch den stärkeren Rückzug auf das Bildliche wird es schwieriger, über das Buch zu sprechen. Das perfekte Fotobuch zum Darüber-im-Feuilleton-Schreiben ist War Porn, weil man dabei nicht spezifisch auf die einzelnen Fotografien eingehen muss – man kann ja thematisch ansetzen.

AS:    Generell wäre es wichtig, über die Bilder als solche nicht so leichtfüßig hinwegzugehen bzw. hinwegzusehen. Entweder wird den Fotos zu wenig zugetraut und man nutzt sie nur illustrativ, ohne sie in ihrer Eigenständigkeit ernst zu nehmen. Oder es gibt ein tiefes Misstrauen, welches denkt: Eigentlich können die doch mehr, die Bilder, aber will ich das überhaupt … Manche Leute haben schlicht Angst davor, dass man von Bildern zu sehr berührt wird, oder vielleicht auch durchgerührt und aufgeschüttelt, und dadurch aus dem Konzept gerät. Genau das tun deine Bilder auch, sie brechen mehr oder weniger subtil aus dem gemeinsam definierten Spielfeld journalistischer Sehgewohnheiten aus und spielen an dessen Rand weiter. Dadurch passiert etwas, das sich nicht kontrollieren lässt. Mit deinen beiden Büchern in der Hand kann das ein einzelner Betrachter mit seinen eigenen Ängsten aushandeln. Üblicherweise wird das Feld der Sichtbarkeit jedoch von den wirkkräftigeren Medien massiv vorverhandelt. Sie entscheiden, wie viel Spielraum sie den Bildern zugestehen oder wie sehr sie deren Einfluss von vornherein reduzieren, indem sie sie vorrangig illustrativ einsetzen. Die Vermeidung von Schmerzbereichen, die tatsächlich zum Reflektieren herausfordern würden, ist ein Problem.

CB:     Es ist eine große Verantwortung, mit Bildern umzugehen. Nehmen wir unser eigenes Medium ernst, dann ist die Idee eigentlich, geniale Bilder zu machen, mit denen wir wirken können. Dazu gehören selbstverständlich Kontexte. Die müssen allerdings nicht aus Text bestehen, Kontext kann auch Sound sein, es können andere Bilder sein oder Video … Etwas sollte da sein, das dem einzelnen Bild einen Zusammenhang gibt, jedoch nicht etwa das Bild erklärt. Dieser Fehler wird oft gemacht. 

AS:    Hierfür ist auch der Präsentationskontext wichtig, der ist für einen Teil deiner Bilder aber eher schwierig. Zu den War-Porn-Bildern hattest du eigentlich mal gesagt, du willst sie gar nicht ausstellen. Dann hast du einige doch ausgestellt, im Zusammenhang mit unserem Symposium Images in Conflict im Mai 2017…

CB:     Offen gestanden: Ich hätte es nicht machen sollen. Nicht, dass ich es jetzt bitter bereuen würde, ich sehe das nicht streng dogmatisch, das mussten wir einfach ausprobieren. In dem Fall eurer Ausstellung hätten wir jedoch, wie auch überlegt, einige Exemplare des Buches hinlegen sollen, fertig. Das wäre die auszustellende Arbeit gewesen, nicht gerahmte Abzüge. Es war ein Versuch. Eine andere Ausnahme in dieser Richtung hatte ich gemacht, die ganz gut funktioniert hat, da wurden meine Fotografien im Dialog mit Arbeiten von Anja Niedringhaus und Otto Dix gehängt. 9 Das war interessant, weil es auf einmal nicht mehr um die einzelnen Bilder ging, sondern um das Verhältnis dreier inhaltlich korrespondierender Werkgruppen zueinander. Dadurch war es kein Zurschaustellen schrecklicher Bilder, sondern eine Suche nach Parallelen in ihnen, obwohl sie 100 Jahre voneinander getrennt und in verschiedenen Medien entstanden waren.

AS:    Wobei die Ausstellung bei uns, in der zusätzlich zu einem ausliegenden Ansichtsexemplar des Buches acht der War-Porn-Bilder eher klein gerahmt hingen, vielleicht ebenfalls einen akzeptablen Sichtungskontext geboten hat. Die Besucher*innen waren zu einem großen Teil Fotojournalismusstudierende und Personen, die selbst in diesem verminten Gelände der Konfliktbilder und Bildkonflikte unterwegs sind. Der Betrachtungshorizont war sicherlich nicht so eng auf die ästhetische Ebene beschränkt wie bei manch üblicher Kunstausstellung.

CB:     Auch durch den Kontext der anderen ausgestellten Arbeiten war es letztlich schon in Ordnung.

Ansicht der Ausstellung Images in Conflict – Bilder im Konflikt, GAF – Galerie für Fotografie, Hannover, 18. Mai – 18. Juni 2017. Die Bilder aus der Arbeit War Porn wurden in einer mit dem gleichnamigen Buch vergleichbaren Größe von 16,2 x 23,2 cm präsentiert. Rechts im Bild ist die Arbeit Atlas der Angst von Dirk Gieselmann und Armin Smailovic zu sehen. © Helena Manhartsberger.

AS:    Mir fällt noch eine Situation ein, in der du ausstellst, und zwar, wenn du deine Vorträge hältst. Zumindest für unsere Studierenden hast du dabei die Bilder im Hörsaal riesengroß an die Leinwand geworfen. Ich fand es für dieses Publikum ,from the inside‘ vorstellbar, aber für Einzelne vielleicht dennoch überwältigend, im Gegensatz zu der intimen Betrachtungssituation, die War Porn allein durch seine Kleinheit normalerweise herstellt.

CB:     Ich habe das ein paarmal ausprobiert. Ich weiß nicht, ob ich das noch mal so machen würde. Auch das war ein Test, der für ein solches Spezialpublikum angehen mag, zumal ich mich bemüht habe, die heftigen Fotografien beim Zeigen einzubetten.

AS:    Trotzdem hätte man die Fotos vielleicht auf ein Viertel der Größe reduziert projizieren können.

CB:     Nein, das macht keinen Unterschied. Entweder zeigst du sie oder zeigst sie nicht. Ich habe das bei Vorträgen vor ,normalen‘ Leuten, also nicht bei Fotostudierenden, nie gemacht. Stattdessen habe ich dann eine zensierte Version gezeigt. Die von Utrecht mit den darübergehaltenen Papierstreifen, die habe ich ja auch beim Symposiumsvortrag verwendet. Diese Fassung zeigt das Dilemma des Hin- und Wegsehens direkt auf der Leinwand und man erkennt, okay, da gibt es ein Problem.

AS:    Insofern wären die Bilder deiner Fotos mit dem partiell zensierenden Papierstreifen ein Kommentar oder eine Fortschreibung von deinem Buch als Werk?

CB:     Wir wissen bisher nicht, wie wir mit den extremen Bildern umgehen sollen. Wir müssen uns die Mühe machen, jenseits von ignorierendem ,Übersehen‘ nach einem Kurs zwischen Hinschauen und Wegsehen zu suchen.

 

Erschienen in: Karen Fromm, Sophia Greiff, Anna Stemmler (Hg.): Images in Conflict / Bilder im Konflikt, Weimar 2018, S. 339-355.


 

1 Das Gespräch fand am 20. Juni 2018 in Hannover statt. Abbildung oben rechts: Seitenansicht des Buches War Porn, Kehrer Verlag, 2014. © Christoph Bangert, Repro Lise Straatsma.
2 Christoph Bangert: War Porn, Berlin / Heidelberg 2014. Siehe auch die gleichnamige Bildstrecke in diesem Band.
3 Christoph Bangert: hello camel, Berlin / Heidelberg 2014. Siehe auch die gleichnamige Bildstrecke in diesem Band.
4 Vgl. die Fotobücher von Max Pinckers, z. B. Margins of Excess (2018). In einer online verfügbaren Einführung hierzu konstatiert Hans Theys: „In ‘Margins of Excess’ reality and fiction are intertwined. Not to fool us, but to reveal a more intricate view of our world, which takes into account the subjective and fictitious nature of the categories we use to perceive and define it. And then again: not to celebrate superficiality and contingency, but to try to pierce through noise, buzz, pulp, lies, dreams, paranoia, cynicism and laziness and to embrace ‘reality’ in all its complexity.“ Hans Theys: ,Margins of Excess: A new photographic essay by MaxPinckers‘November 2017, http://www.maxpinckers.be/texts/hans-theys-7/ (letzter Zugriff am 10. September 2018).
5 Dass ein fotografisches Bild selbst bei Inszenierung und versuchter Kontrolle der Aufnahme einen offen interpretierbaren Überschuss beinhalten wird, kalkuliert Max Pinckers bei seiner Arbeit ebenfalls mit ein. Er zitiert in Margins of Excess den seinen Buchtitel inspirierenden Christopher Pinney: „No matter how precautionary and punctilious the photographer is in arranging everything that is placed before the camera, the inability of the lens to discriminate will ensure a substrate or margin of excess, a subversive code present in every photographic image that makes it open and available to other readings and uses.“ Christopher Pinney: ,Introduction: ,How the Other Half …‘‘, in: Nicolas Peterson / Christopher Pinney: Photography’s Other Histories, Durham 2003, S. 6, zitiert in: Max Pinckers: Margins of Excess, Brüssel 2018.
6 Francis Ford Coppola: Apocalypse Now, USA 1979, 147 Minuten.
7 Vgl. hierzu die Filmkritik von Roger Ebert: „But ‘Apocalypse Now’ is the best Vietnam film, one of the greatest of all films, because it pushes beyond the others, into the dark places of the soul. It is not about war so much as about how war reveals truths we would be happy never to discover.“ Roger Ebert: ,Apocalypse Now‘, 28. November 1999, https://www.rogerebert.com/reviews/great-movie-apocalypse-now-1979 (letzter Zugriff am 1. September 2018).
8 Beispielhaft sei verwiesen auf: Frauke Fentloh: ,WarPorn: „Niemand will diese Fotos sehen“‘, Interview, in: ZEITOnline, Juli 2014, https://www.zeit.de/kultur/2014-06/christoph-bangert-war-porn-interview/komplettansicht; Deutschlandfunk: ,Diese Bilder sind eine Zumutung‘, Christoph Bangert im Gespräch mit Jörg Biesler, 16. November 2014, https://www.deutschlandfunk.de/kriegsfotografie-diese-bilder-sind-eine-zumutung.1184.de.html?dram:article_id=303338;  Felix Koltermann: ,Bilderkrieger im „War Porn“?‘, in: Wissenschaft & Frieden 4, 2014, S. 44–45, online zu finden: https://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=2008 (alle letzter Zugriff am 1. September 2018).
9 Kunstmuseum Singen, Ausstellung Bilder der GewaltOtto Dix. Anja Niedringhaus. Christoph Bangert, 15. Oktober 2016 bis 4. Dezember 2016.